KNOCHENARBEIT – Anthropologen auf Tätersuche

REZENSION

png_018Foto: Theiss

Titel: Knochenarbeit – Anthropologen auf Tätersuche
Autor: Joachim Wahl

Erschienen: August 2018
Seitenzahl: 264 mit 42 s/w-Abb., Glossar und Bibliographie
Verlag: Theiss, Darmstadt.
Preis: 19,95 €
Erhältlich als: Buch, epub, PDF

„Kein Krimi, sondern Wissenschaft!“

Leseprobe: https://www.wbg-wissenverbindet.de/11746/knochenarbeit

 

Eine Rezension von Petra Pettmann M.A.

Das Buch „Knochenarbeit“ von Joachim Wahl, erschienen im Theiss-Verlag im August 2018 (Preis: 19,95 €) ist nichts für „Zartbesaitete“. So stellt die wbg das Buch von Anthropologe Joachim Wahl vor. Und das stimmt. Als studierte Anthropologin und Archäologin ist mir das Thema gut bekannt. Jeder muss sterben, aber keiner befasst sich gerne mit dem Tod. Es ist ein Tabu-Thema. Und doch ist es real. Alle Menschen die auf diesem Planeten geboren wurden sind auch eines Tages tot. Die meisten davon hinterlassen keine Spuren. Nur manche werden von Archäologen nach langer Zeit wieder ausgegraben und dann von Anthropologen wissenschaftlich untersucht.

Sei es, weil sie zufällig bei einer Notgrabung entdeckt werden, oder weil man gezielt ein Gräberfeld oder Grab untersucht, oder auf einer Grabungsfläche plötzlich auf menschliche Überreste stößt. Dann wird es spannend. Doch zuerst erfolgt die ganz pragmatische Bergung, bei der möglichst alles dokumentiert werden muss, um später möglichst viele Erkenntnisse zu erhalten.

Im Buch von Joachim Wahl werden solche „Befunde“ wie an einer Perlenkette hintereinander bunt aufgereiht präsentiert. Es fällt dem Laien sicher nicht leicht, sich mit diesen nach archäologischer und anthropologischer Manier ganz pragmatisch und wissenschaftlich untersuchten und beschriebenen Skelettfunden zu beschäftigen. Denn Joachim Wahl untersucht als Anthropologe am Landesamt für Denkmalpflege in Konstanz menschliche Skelettfunde und verwendet die Fachsprache ohne Abstrich. Schwer zu verstehen für Laien.

Die reißerische Beschreibung von „Kannibalen im Paläolithikum“, oder der „fatalen Zwillingsgeburt aus der Jungsteinzeit“, dem „Untoten aus dem Zabergäu“, den „Gladiatorenschicksalen“, oder dem „Leichendumping“ finde ich deshalb persönlich an dieser Stelle auch höchst unpassend. Denn darum geht es Wissenschaftlern nicht.

Die Herausgeber versuchen womöglich über dieses Grusel-Wording Aufmerksamkeit zu erhaschen, doch sie werden den Käufer von Gruselromanen & Co. dann doch enttäuschen, da der Grusel-Kick ausbleibt. Und das ist auch gut so. Das Buch ist nicht für den Laien geschrieben, sondern für interessierte Wissenschaftler. Der Autor hat sich nicht die Mühe gemacht, jeden Beitrag mit verständlichen Worten, also ohne schwer verständliche Fachbegriffe aufzubereiten. Nur wer sich als Anthropologe, Mediziner oder Archäologe mit der anthropologischen Fachsprache auskennt, weiß, wovon Joachim Wahl spricht. Einerseits schade, andererseits auch gut, denn so liest nur derjenige weiter, der den Inhalt des Buches vielleicht selbst für seine Forschungsarbeiten nutzen kann.

Anthropologie ist und bleibt Wissenschaft. Es geht Anthropologen darum, mehr zu erfahren, wie Menschen in der Vergangenheit gelebt haben, welche Krankheiten sie hatten, wie sie gestorben sind, wie sie bestattet wurden. Es geht um Leben und Sterben. Um die kulturellen Hinterlassenschaften, das Wissen der damaligen Zeit. Es geht in der Wissenschaft nicht um „Monstertumore“ und „Untote“, sondern die wissenschaftliche Interpretation, das Einhängen in einen Kontext, der uns verstehen lässt, was diesem Menschen damals geschehen ist, woran sie erkrankten, welchen Konflikten und Widrigkeiten sie damals ausgesetzt waren und woran sie letztendlich gestorben sind.

Im Grunde ist es sehr spannend, was Wissenschaftler wie Joachim Wahl mit viel Erfahrung, detektivischem Spürsinn und modernster Technik aus menschlichen Überresten herauslesen können. Ob es nun die Knochen sind, oder Reste von Haut & Haar, von Tätowierungen (Ötzi), Mageninhalten & Co. Auch und gerade das Skelett liefert uns faszinierende Einblicke in das Leben, Leiden und Sterben früherer Generationen. Der Befund wie ihn der Archäologe bei der Ausgrabung vorfindet, sagt oft noch mehr aus. Ob es sich dabei um Relikte einer Kampfhandlung, Bestrafung, häusliche Gewalt, Unfall oder ein normales Sterben aufgrund hohem Alter handelte, ist in vielen Fällen nicht eindeutig nachvollziehbar. Spekulationen sind Wissenschaftlern nicht erlaubt, nur was eindeutig belegbar ist, sollte zu Papier gebracht werden.

Joachim Wahl präsentiert ein nicht nachvollziehbares Kaleidoskop an Fallbeispielen aus der anthropologischen Forschung. Ich hätte mir dabei mehr Struktur – zeitlich oder räumlich – oder nach medizinischem Befund geordnet gewünscht. Und Bilder, pädagogisch wertvoll beschriftet, damit man sich nicht nur gruselt, sondern auch versteht worum es wirklich geht.

Fazit: Wer sich wirklich für wissenschaftliche Arbeit und die Befundbeschreibungen eines Anthropologen interessiert, dem sei das Buch empfohlen. Lesefreundlich und verständlich aufbereitet ist es leider nicht. Und deshalb erfüllt es auch nicht die Erwartungen, die das „Grusel-Wording“ dem Leser verspricht. Und den „Täter“ findet man leider in den wenigsten Fällen, sondern eben nur die sterblichen Überreste des „Opfers“.

PDF-Download hier: Rezension_Knochenarbeit_Theiss Verlag_Petra Pettmann_30-10-2018

Dies ist eine Rezension von Petra Pettmann M.A.

Archäologin, Anthropologin & Journalistin DJV, 30. Oktober 2018