Warum es normal ist, dass die Welt untergeht

Eine Rezension von Petra Pettmann M.A., Journalistin DJV, Archäologin, Anthropologin

Abb.: wbg / Theiss

Autor: Robert L. Kelly

„In Wirklichkeit ist die Welt ein einziges Land.“

Zitat: Robert L. Kelly

Ich kann nur jedem empfehlen sich die Zeit und Ruhe zu nehmen und das Buch „Warum es normal ist, dass die Welt untergeht“ von Robert Laurens Kelly, einem amerikanischen Anthropologen, der Professor an der University of Wyoming ist, Seite für Seite genau zu lesen. In leichter Sprache verfasst, also nicht streng wissenschaftlich, ergründet Kelly die Weltgeschichte aus Sicht der Archäologie und erklärt aus der Sicht eines Optimisten, warum Hoffnung besteht auch die nächste Umweltkatastrophe zu überstehen. Ein aufbauendes, Mut machendes Buch.

Er schreibt: „Heute ist es unser aller Aufgabe, uns vorzustellen, wie die Zukunft aussehen wird.“ So glaubt der Autor an einen globalen Kulturwandel durch globale Vernetzung und schnellen Informationsaustausch.

Würden wir nicht alle gerne wissen, wie und ob es mit der menschlichen Zivilisation auf unserem Planeten Erde weitergeht? Um dies zu verstehen, nutzt es nichts Zukunftsvisionen mit der rosaroten Brille zu entwickeln, ohne zu erforschen und zu begreifen, wie der Mensch sich im Laufe der Jahrtausende entwickelt und immer wieder neu erfunden hat.

Die englischsprachige Erstausgabe wurde bereits 2016 publiziert, die deutschsprachige Fassungim April 2020 bei wbg Theiss veröffentlicht. So konnte Autor Robert L. Kelly ganz aktuell in einem Epilog auf die aktuelle Lage der Corona-Pandemie eingehen.

Da es sich um die Geschichte der Menschheit vom Paläolithikum bis heute dreht, bleiben die grundsätzlichen Denkanstöße des Archäologen und Anthropologen auch vier Jahre nach Erstveröffentlichung gültig. Wenn auch die Corona-Pandemie alle Zukunfts-Szenarien gesprengt hat. Denn Kelly hat die Rechnung ohne den „Wirt“ gemacht. Nicht der Mensch entscheidet über unsere Zukunft, sondern die Natur. Das ist jedenfalls meine Ansicht. Kelly irrt, wenn er meint, der Mensch wäre heute „in der Lage, die Welt zu verändern“ (S. 181 f.). Und ob Menschen wirklich dazu in der Lage sind „aus der Geschichte zu lernen“, bezweifle ich auch. Vielleicht Wissenschaftler, aber hat die Politik je auf diese gehört, wenn es um Machtgewinn, Wirtschaftsmaximierung und den eigenen Wohlstand einer Nation ging? Wenn es ums nackte Überleben geht, baut der Mensch gewöhnlich Mauern. Doch: Mauern bauen nützt nichts mehr, nur wenn die Menschheit Brücken baut und global denkt, wird sie überleben können, so die Quintessenz des Autors. „Das Virus hat uns kalt erwischt“, schreibt Kelly. Und stürzt die Weltwirtschaft ins Chaos.

Ich halte dieses Buch für absolut lesenswert. Da ich selbst nicht nur Wirtschafts-Journalistin, sondern auch studierte Archäologin und Anthropologin bin, werfe ich einen ganz besonders kritischen Blick auf die Schlüsse des Autors. In vielem stimme ich Kelly zu. Manchmal allerdings auch nicht. Je nachdem worauf sich unsereins als Wissenschaftler spezialisiert hat, und in welchem Fachgebiet er oder sie Experte ist, fällt die Interpretation der Vergangenheit und der Zukunft konträr aus. Dies ist Wissenschaft. Eine These wird aufgestellt. Und der nächste Wissenschaftler widerlegt sie wieder. So ist das, und so wird es wohl auch bleiben. Eine einzige unumstößliche Wahrheit gibt es nicht. Mit jeder neuen Erkenntnis und jeder neuen Denkrichtung begreifen wir uns und unsere Umwelt besser, nähern uns dem, wie es tatsächlich war und wie es werden könnte, eingebettet in unseren Kulturkreis und unsere Erfahrungen. Und darum geht es letztendlich:

Wir wollen unsere Handlungen verstehen und aus den Forschungsergebnissen Lösungsansätze für die Zukunft der Menschheit ableiten. Und wir wollen dazu beitragen, dass die Menschheit aus der Geschichte lernt und über sich selbst hinauswächst.

Ich kann nur jedem empfehlen sich die Zeit und Ruhe zu nehmen und das Buch „Warum es normal ist, dass die Welt untergeht“ von Robert Laurens Kelly, einem amerikanischen Anthropologen, der Professor an der University of Wyoming ist, Seite für Seite genau zu lesen. In leichter Sprache verfasst, also nicht streng wissenschaftlich, ergründet Kelly die Weltgeschichte aus Sicht der Archäologie und erklärt aus der Sicht eines Optimisten, warum Hoffnung besteht auch die nächste Umweltkatastrophe zu überstehen. Ein aufbauendes, Mut machendes Buch.
Foto: Todd Surovell. Im Bild: Robert L. Kelly

In einem stimme ich nicht überein mit Robert L. Kelly: Für ihn ist es immens wichtig, das Positive der menschlichen Aktion hervorzuheben und jede Entwicklung durch die rosarote Brille zu sehen. So kommt er zu Schlussfolgerungen, die, wenn man wissenschaftliche Befunde und Funde rein rational und ohne Ideologie und ohne Analogieschlüsse betrachtet, leider nicht so rosig dargestellt werden können, wie friedliebende Menschen dies sich wünschen.

Und doch ist der Positive Ansatz der einzig richtige. Denn sonst hätten wir schon verloren. Zu erkennen, dass Egozentrik und Machtgehabe eine Sackgasse sind, die auf Dauer alles zerstört, ist eine weise Erkenntnis. Danach zu Handeln die höchste Disziplin.

Biografie bedingt musste ich persönlich schon früh lernen, dass Menschen nicht immer gut sind. Mein Blickwinkel ist darum sehr kritisch, was Aktivitäten von Menschen anbelangt. Manchmal glaube ich, ich bin nur deshalb Archäologin geworden, um menschliche Handlungen besser zu verstehen. Was macht Menschlichkeit aus? Ist „Menschlichkeit“ nur „gut“? Der Mensch ist das einzige Lebewesen, der den gesamten Planeten zu seinen Zwecken knechtet und ausbeutet. Ist das gut? Kriege, feindliche Übernahmen, Sklaverei, brutalste Methoden der Machtgewinnung, zeichnen den Menschen aus.

Solange es einer Menschengruppe, oder einem Volk gut geht, können niedere Instinkte unterdrückt und beherrscht werden. Droht Gefahr, verliert der Mensch die Selbstbeherrschung und der nackte Überlebenswille siegt. Worüber also reden wir?

Beispielsweise ist Kelly der Meinung Jäger- und Sammlerpopulationen wären friedlich von einwandernden Ackerbauern und viehzüchtenden Gruppen ersetzt worden. Da diese Zeitperiode aber gerade mein Spezialgebiet ist, und wir uns am Institut für Vor- und Frühgeschichte der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main intensiv mit diesem Übergang – der Neolithischen Revolution – auseinandergesetzt haben, kann ich Kelly nicht zustimmen.

Kelly sagt treffend, dass immer dann einschneidende Veränderungen der menschlichen Kultur eintraten, wenn Nahrung und Raum knapp wurden, also die vorhandenen Ressourcen nicht mehr ausreichten, um die Menschen zu ernähren. Menschen mussten wandern und neue Lebensräume erschließen, um zu überleben.

Völkerwanderungen fanden nicht aus Spaß am Reisen oder Abenteuerlust statt. War ein Landstrich überbevölkert, oder durch Naturkatastrophen, Epidemien oder ähnlich verheerende Umstände unwirtlich geworden, breiteten sich Volksgruppen in fremde Regionen – in denen ja vielleicht auch bereits Nahrungsmangel herrschte aus – und nahmen das dortige Land in Besitz. Dies geschah sicher nicht freundschaftlich, sondern durch Verdrängung, Gewalt und Schlimmeres. Archäologische Quellen beweisen, dass die ältesten Bandkeramiker, die sich z.B. im heutigen Gebiet Deutschland ansiedelten, ihre Kultur aus dem Balkanraum nach Mitteldeutschland mitbrachten. Da, wo zuvor mesolithische Jäger- und Sammler in akeramischen Verbünden den natürlichen Raum besiedelten, machten sich nun Ackerbau treibende Menschen breit, besiedelten fruchtbare lösshaltige Ebenen an Flüssen, rodeten den Urwald und pflanzten Emmer, Einkorn und Dinkel, den ihre Vorfahren mühselig von Generation zu Generation im Zweistromland an Euphrat und Tigris kultiviert hatten. Bauten 40 Meter lange Gemeinschaftshäuser, in denen die Sippe samt Tieren Platz fand. Die Jäger- und Sammler, die bislang im Einklang mit der Natur lebten, hatten das Nachsehen. Ihr Lebensraum wurde zerstört.

Feindliche Übernahmen können wir anhand von Skelettfunden mit gewalttätigen Merkmalen dokumentieren. Herxheim sei als Beispiel genannt. Wenig friedlich ging es auch in jüngerer Zeit zu. Michelsberger Erdwerke zeigen, dass man Bollwerke gegen feindliche Übernahmen errichtete, in denen Mensch und Tier in Kriegszeiten Schutz fanden.

Die Entwicklung der Schrift geschah bereits 10.000 v. Chr. Und nicht wie Kelly annimmt erst im 5. Jahrtausend vor Christus. Da ich vorderasiatische Archäologie studiert habe und mich intensiv mit der Entstehung der Schrift beschäftigt habe, weiß ich, dass gerade in der Tempelwirtschaft und im Handel Ton-Bullen (hohle Ton-Kugeln) mit tönernen Symbolen in deren Inneren Einzug hielten, die später in Keilschrift umgewandelt wurden. Auch hier liegt Kelly falsch. Kelly irrt, wenn er behauptet, dass die Schrift erst 5000 v. Chr. entstanden sei. Sie ist viel älter! Zuerst waren es Piktogramme – zum Beispiel ein Tonklumpen mit eingeritztem Kreuz, welches so viel bedeutete  wie „ich besitze 1 Schaf“.

Uns wurde an der Universität beigebracht, dass Analogieschlüsse Tabu sind. Im Rezensionsexemplar Kelly werden jedoch für fast alle Schlussfolgerungen Analogiebeispiele aus Amerika, Afrika, Madagaskar, etc. herangezogen, die der Autor dazu nutzt, seine eigenen Thesen zu verstärken und zu legitimieren. Dies sehe ich sehr kritisch. Wissenschaftler dürfen das nicht.

Trotz aller Kritik ist das Buch sehr lesenswert. Eine Weltengemeinschaft, wie Kelly sie sich wünscht, wird es aber nie geben. Denn der Mensch ist Mensch.

Gerade die Corona-Pandemie zeigt, dass es nur die ersten Wochen scheinbar menschlich zuging. Solidaritätsbekundungen blieben allerdings reine Lippenbekenntnisse, den jedem Menschen war und ist sein eigenes Hemd wichtiger, als das eines anderen. Das Hauen und Stechen um finanzielle Unterstützung hat begonnen, das Tauziehen um die Macht. Den Völkern auf der Erde ist allerdings durch die Corona-Pandemie klar geworden, dass wir auf einem Planeten leben und das Virus keinen Unterschied zwischen Arm und Reich macht. Und der Mensch bleibt Mensch.

Die Weltwirtschaftskrise steckt gerade erst in den Babyschuhen. Der Kuchen schrumpft. Nicht jeder wird etwas davon abbekommen können. Die fortschreitende Wasserknappheit, der Klimawandel, das Aussterben von Insekten, Vögeln, Pflanzen und unzähligen anderen Tierarten wurde nicht bedacht. Korrespondenzanalyse vielfältigster Variablen wäre jetzt angebracht, um eine Lösung zu ermitteln. Doch nichts geschieht. Jeder hält sich an seinem Strohhalm fest und geht lieber mit diesem unter, als dass er neu denkt.

Fazit: Lesenswert, aber mit Vorsicht zu betrachten.

Dies ist eine Rezension von Petra Pettmann M.A.

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